Wenn Teenager nicht mitmachen wollen

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Es ist Urlaub. Wir wollen heute alle zusammen zum Strand. (Das haben wir am Vorabend gemeinsam verabredet.) Die Eltern haben sich schon gekümmert und alle Taschen gepackt. Die Teenager-Kinder kommen nicht hoch. Die Stimmung ist im Keller.

Ich möchte nun wenigstens, dass mein pubertierendes Bonuskind tragen hilft. (Das Kind sorgt sich hauptberuflich um seine Frisur, die jede Viertelstunde vor dem Spiegel gekämmt wird.) Ich drücke ihm die gepackte Tasche in die Hand und sage: „Hier, habe ich für dich gepackt. Du kannst sie tragen.“ Das Kind: „Nö.“ – „Wieso, was habt ihr denn? Du musst nicht gleich so eine schlechte Laune haben!“ entgegnet es einem abweisend. Ich bin fassungslos über so wenig Kooperation. Und werde innerlich wütend; weil ich mich so ohnmächtig fühle. Wie konnte es wieder einmal soweit kommen?

Diese Situation haben wir mehrfach die Woche. Die Mutter wird genauso behandelt. Ich aber habe das Gefühl, als (Bonus-)Vater versagt zu haben; keine Werte vermittelt zu haben. Werte wie Gemeinschaft, die zählt – dass jeder sich einbringt und das Miteinander dann funktioniert. Ich frage meine Frau, ob das es ist, wie die Kinder leben wollen – ohne Gemeinschaft und Miteinander aber mit allen Vorzügen der modernen Zivilisation (stets saubere Kleidung, Vollverpflegung und Medienzugang)? Die beste Frau und Mutter des Kindes entgegnet, dass es einfach stur ist. Und Recht hat sie, wie wir viel später (von Erziehungsexperten) erfahren. Es geht um die eigene Integrität. Und um Grenzen bei uns Erwachsenen.

Ich bin für diesen Tag erst erst mal fertig mit dem Bonuskind. Suche Distanz um mein Gemüt wieder zu beruhigen – und um besser verstehen zu können, was hier passiert. Ich grübele: Vielleicht habe ich was falsch gemacht? Ich habe mein Gegenüber einfach nicht richtig angesprochen. War unempathisch und hätte, als Erwachsener in der Führungsrolle, souveräner agieren sollen. Ein Motiv ansprechen oder das Bedürfnis erkennen sollen. Dieser Gedanke hilft mir. Ich kann was dafür, also kann ich was verändern. Beim nächsten Mal fragen: „Warum willst du nicht helfen?“ oder noch besser: „Was möchtest du morgen wirklich machen?“

Im Rückblick weiß ich jetzt – ein Jahr später, dass das typisch für mich ist und war:

Ich habe kein Gespür für eigene Grenzen und deren Verletzungen. Ich gehe in Leistung über meine Grenzen hinweg. Es ist ja gut, ein verantwortlicher Vater zu sein, und für die anderen zu sorgen. Aber mein Bauch merkte, dass es zuviel war, und etwas in mir reagierte mit Wut.

Ich machte auch gern zu, und versuchte, ein Problem mit mir selbst zu lösen. Im Kopf, durch Grübeln – wie schon immer. Ich glaube oft, da müsste ich allein mit fertig werden. Der Dampf ist aber trotzdem da und will entweichen. Äußerlich merkt man mir das nicht an. Das ist meine Strategie. Und dann platzt es aus mir heraus, sobald etwas von außen auch noch meine Grenze überschreitet.

Jetzt lasse ich den Ärger früher los, weil ich weiß, dass ich dieses Gefühl ansprechen kann. In etwa so: „Ich ärgere mich über deine Reaktion. Ich mache mir Gedanken, dass es auch dir gut geht. Und da fühle ich mich wenig gesehen.“ Ich teile mein Problem mit den anderen.

Ohnmächtig gegenüber dem Bonuskind

Aber warum war diese Reaktion für mich so frustrierend, habe ich mich damals gefragt. War es dieses Bewusstsein, mit einem Kind zu leben, das einem nicht gehört – und von dem ich folglich nichts erwarten durfte?  Bliebe die Beziehung unverbindlich? Wäre ich meinem Bonuskind gleichgültig? Nein, das stimmt nicht. Das finde ich auch erst später mit professioneller Unterstützung heraus. Ich fühlte mich gekränkt, weil niemand (mich eingeschlossen) meine eigenen Grenzen achtete. Dafür müsste ich sie aber erst klar kommunizieren. Oder überhaupt erst spüren. In diesem ganzen Stress schlüpf(t)e ich in eine autoritäre Erwachsenenrolle, wie ich sie selbst in meiner eigenen Jugend erlebt habe.

Ich dachte dann noch, dass das Bonuskind zu wenig gefordert wurde. Es fehlte dafür der Vater. Und die Mutter kompensierte es damit, dass sie ihre fördernde Rolle größer machte. Mein Kind aus erster Ehe verhält sich ähnlich bei seiner Mutter. Die Eltern werden zu Servicekräften. Mittlerweile (ein Jahr später) haben wir uns alle bewegt. Wir Erwachsenen achten mehr auf uns; können solche Verletzungen benennen, wenn wir uns ausgenutzt oder nicht wertgeschätzt fühlen. Wir lassen auch los: Das Kind muss/darf sich selbst um seine Kleidung, Ernährung und Freizeit kümmern. Und die Kinder danken es uns; sie fühlen sich auch wertgeschätzt durch unser Vertrauen.

Ganz normale Pubertät

Damals hatte ich noch eine These: Das Kind verübelt uns Eltern, dass es kein Kleinkind mehr sein darf. Wir muten ihm Eigenverantwortung und lästige Pflichten zu (wie die, auf seine Sachen selbst aufzupassen). Wir fordern etwas von ihm. Und wir nehmen ihm das Paradies der Kindheit weg, in dem für alles stets gesorgt ist, Eltern das Händchen halten und einen stets auffangen. Das ist etwas Pubertäres, Normales. Etwas, was alle Familien von pubertierendes Kindern durchleben. Das Wissen darum hatte mich erleichtert.

Später am Strand angekommen griff sich das Bonuskind die besagte Tasche und trug sie die letzten Meter. Kurz danach kam die obligatorische Frage: „Was haben wir zu essen mit?“ Und ich dachte: „Es ist noch nicht alles verloren.“

Lebst du auch als Teil einer Patchworkfamilie? Und kennst solche Situationen? Wie gehst du damit um? Ich freue mich über dein Feedback!